Digital methods in Theology
Digital Theology: Kartierung theologischer Diskursformationen am Beispiel „Suizid"
2022 haben wir mit Unterstützung der Universität Passau ein gemeinsames Projekt gestartet, das mit Hilfe von KI theologische Diskurse auf ihre Argumentation hin untersuchen und damit eine kulturwissenschaftlich angebundene Forschungsrichtung eröffnen will. Ein erstes Modellprojekt steht kurz vor der Beantragung.
Im Bereich des Argumentation Mining hat es in den letzten Jahren einen Schub bei der Kartierung von Wissen und Argumentationslinien gegeben, siehe z. B. IBMs Project Debater (https://research.ibm.com/interactive/project-debater/). Bislang erstrecken sich diese Kartierungen aber vor allem auf synchrone Bereiche, d.h. es geht um die Darstellung von Informationen und ihren argumentativen Beziehungen zu einem bestimmten Zeitpunkt. Ein Beispiel: Klassisch werden momentan Internetdebatten oder Fernsehshows auf ihre Argumentationen hin untersucht und kartiert.
Uns interessiert ein anderer Bereich: Wir sind an der Darstellung der Art und Weise interessiert, wie Wissen über einen längeren Zeitraum hinweg in spezifischen Argumentationskulturen entstanden ist, zum Beispiel bei der Behandlung wissenschaftlicher Fragen und der sie umgebenden Diskussion.
In unserem Projekt schlagen wir diachrones Argument Mining vor, d.h. wir zielen auf eine Kartierung, die Argumentationsprozesse über die Zeit in theologischen Diskursstrukturen analysiert und vor allem das Wiederaufgreifen und die Transformation von Teilen der Argumentation visualisiert.
Durch mehrere computerlinguistische Analyseebenen, kann der Argumentationsgraph den Diskurs nicht nur im Verlauf, sondern auch auf den entsprechenden sprachlichen Ebenen repräsentieren; so können argumentative Strukturen sprachlichen zugeordnet werden. Schon bei der Entwicklung der computerlinguistischen Methoden wird theoretisches kultur- und sprachwissenschaftliches Fachwissen miteinbezogen. Bei der Sentimentanalyse wird deutlich, dass beispielsweise ein lexikalischer Begriff wie `Leidenschaft' aufgrund von dessen engem Bezug zur Sünde in der katholischen Aufklärung und im Ultramontanismus stark negativ besetzt, in zeitgenössischen Diskussionen und entsprechenden computerlinguistischen Methoden aber eher positiv konnotiert ist.
In unserem Pilotprojekt „Die katholische Diskussion um den Suizid zwischen 1800 und der Gegenwart“ werden wir uns auf die diachrone Perspektive des katholischen Diskurses über den Suizid und dessen Wandel konzentrieren. Insbesondere konzentrieren wir uns auf die entstehende Argumentation in den Frömmigkeitsdiskursen der katholischen Spätaufklärung (1800-1840) und des Ultramontanismus (1840-1930) im Vergleich zu ihrer Diskussion in der Moraltheologie des 21. Jahrhunderts. Im Hintergrund steht ein kulturwissenschaftliches Diskursverständnis, das katholisch-theologische Argumentationen als Teil eines sich wandelnden identitätskonkreten Selbstverständnisses einer Bezugsgruppe denkt. Der katholisch-theologische Diskursraum wird hier vor dem Hintergrund der sich wandelnden Bedingungen der (Vor-)Moderne bis zur Postmoderne als Raum jeweiliger kommunikativer Rationalität begriffen, der im Bezug zu den Erinnerungs- und Identitätskonstruktionen der jeweiligen Epochen und der Gegenwart seine eigene Kultur ausformt.
Annette Hautli-Janisz, Computational Rhetoric and Natural Language Processing, Universität Passau
Stefanie Müller, Institut für Linguistik, Graduiertenkolleg IGRA, Universität Leipzig und Theologische Ethik, Universität Passau
Christian Handschuh, Kirchengeschichte und christliche Identitäten, Universität Passau
Bernhard Bleyer, Theologische Ethik, Universität Passau